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Grundbildung

Sprachliche Diversität in Lese- und Schreibkursen

Interview mit Prof. Dr. Afra Sturm. Erschienen im dis.kurs, Heft 01/2021.

Dr. Afra Sturm ist Professorin an der Pädagogischen Hochschule der FH Nordwestschweiz und leitet dort das Zentrum Lesen.

Sie leitet außerdem die Überarbeitung der Lernmaterialien zu den DVV-Rahmencurricula Lesen und Schreiben.

"Alle haben das gleiche Ziel"


Prof. Sturm, was bewog Sie, sich dem Lesen- und Schreibenlernen von Erwachsenen zuzuwenden?

Das hat zwei Gründe. Der eine ist Zufall: Als ich beim Zentrum Lesen anfing, schrieben meine Kollegen und Kolleginnen gerade einen Antrag. Es ging in erster Linie um ein Entwicklungsprojekt für Lese-/ Schreibkurse mit Erwachsenen. Da bin ich einfach so reingerutscht.
Der zweite ist: Ich habe durchaus auch ein biografisches Interesse daran. Ich  selbst komme aus einer Arbeiterfamilie. Meine Eltern haben keine hohe Bildung genossen. Ihnen war Bildung sehr wichtig, sie konnten uns Kinder aber nicht unterstützen. Beide konnten praktisch nicht schreiben, aber lesen. Das heißt, wir waren darauf angewiesen, dass die Schule gut ist.

Sie haben viele Kurse besucht. Wie würden Sie diese in Hinblick auf ihre sprachliche Diversität charakterisieren?

Der Anteil an DaZ-Teilnehmenden ist generell sehr hoch. Ich habe selten Kurse gesehen, wo mehrheitlich Erwachsene mit Deutsch als Erstsprache lernen. Wenn es darum geht, die sprachliche Heterogenität in den Blick zu bekommen, ist man jedoch gut beraten, wenn man den Fokus nicht nur auf Deutsch als Zweitsprache setzt, sondern das im Verbund mit Bildungsnähe zusammendenkt. Denn wir haben ja DaZ-Lernende, die in ihren Erstsprachen durchaus literalisiert sind, aber nicht in ihrer Zweitsprache. Und dann haben wir eben auch solche, die in ihrer Erstsprache nicht ausreichend literalisiert sind. Alle haben aber das gleiche Ziel: Lese- und Schreibkompetenzen zu erwerben bzw. besser zu werden.

Ist Arbeit am Wortschatz Teil der Lese- und Schreibkurse?

Unbedingt. Zwingend sogar. Allerdings auch für die Teilnehmenden mit Deutsch als Erstsprache und geringem Bildungshintergrund.

Besteht dann die Gefahr, dass Lese- und Schreibkurse zu reinen Sprachkursen werden?

Nur, wenn ich das abkopple vom Lese- und Schreibunterricht. Es ist hochsinnvoll, das Lesen mit der Erweiterung vom Wortschatz zu verknüpfen. Dann habe ich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Ich habe Lesearbeit drin und ich habe Wortschatzarbeit drin, die sogar kontextbasiert ist.

Was sind gute Lernmaterialien für diese Gruppen?

Das Lernziel muss klar sein – sie müssen wissen, was sie tun. Es braucht auch Materialien mit relevanten, interessanten Inhalten. Gleichzeitig sollen es nicht nur Gebrauchstexte sein, denn wir haben ja auch einen kulturellen Auftrag. Sehr wichtig ist auch die sachliche Korrektheit. Das kann man immer sehr schön an der Rechtschreibung zeigen: Es gibt ja tonnenweise Material, aber vieles davon ist schlicht und einfach sachlich falsch.

Wie muss guter Unterricht für sprachlich heterogene Gruppen aussehen?

Ein Unterricht ist dann gut, wenn er sein Ziel erreicht. Wenn das nicht der Fall ist, muss man sich überlegen, wie man ihn wirkungsvoller gestalten kann. Letztlich ist es das Ziel, lesen und schreiben zu können. Das muss erreicht werden – und zwar möglichst so, dass literale und gesellschaftliche Teilhabe möglich wird.


Autor

Die Fragen stellte Stefan Markov. Stefan Markov arbeitet beim Deutschen Volkshochschul-Verband. Zum Zeitpunkt des Interviews war er Referent im Projekt Rahmencurriculum (Transfer) beim DVV.

Das Projekt „Praxistransfer der DVV-Rahmencurricula“ wurde gefördert vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung.

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Bildnachweise

  • FHNW
  • Deutscher Volkshochschul-Verband e. V.