Veröffentlicht am 26.06.2024
„Gröpelingen ist ein Ankommens-Stadtteil“, erklärt Haleh Soleymani, Leiterin der hier ansässigen Regionalstelle West der Bremer Volkshochschule. Sogar global stattfindende Fluchtbewegungen könne man im Stadtteil ablesen. So leben in Gröpelingen Menschen aus ganz unterschiedlichen Teilen der Welt, und die einzelnen Communitys sind in sich sehr divers.
Mit gut 36.600 Menschen ist Gröpelingen ein bevölkerungsreicher Stadtteil in Bremen mit seinen insgesamt etwa 569.400 Einwohner*innen (Stand 12 / 2022; Freie Hansestadt Bremen, Statistisches Landesamt Bremen o. J.). Die junge Bevölkerung und die Sprachenvielfalt im Alltag machen Gröpelingen zu einem „ganz lebendigen Stadtteil“, betont Haleh Soleymani. Jeder fünfte Mensch hier ist jünger als 18 Jahre (Stand 08 / 2021; Freie Hansestadt Bremen, Ortsamt West, Stadtteilmanagement o. J.). Entsprechend tobe das Leben auf den Straßen, erzählt die Regionalstellenleiterin.
Gröpelingen ist ein traditionelles Arbeiter*innenviertel, geprägt durch die Hafengebiete. Viele Menschen ließen sich ab den 1950er Jahren im Zuge der Anwerbung von Arbeitskräften aus dem Ausland, die das Wirtschaftswunder in der Bundesrepublik erst ermöglichten, in Gröpelingen nieder. Heute sind hier gut 22.000 Menschen „mit Migrationshintergrund“ zu Hause, davon haben knapp 14.300 Menschen keine deutsche Staatsbürgerschaft (Stand 12 / 2022; Freie Hansestadt Bremen, Statistisches Landesamt Bremen o. J.). Mit dem Strukturwandel in den 1980er Jahren kam es zum Verlust vieler Arbeitsplätze (Freie Hansestadt Bremen, Soziale Stadt Bremen o. J.). Armut und prekäre Lebenslagen hätten sich seitdem zum Teil verfestigt, erläutert Haleh Soleymani. Mitte 2023 lebten in Gröpelingen mehr als 10.200 Menschen in Bedarfsgemeinschaften, die Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch erhalten (Stand 06 / 2023; Freie Hansestadt Bremen, Statistisches Landesamt Bremen o. J.). Die oft schwierigen Lebensbedingungen würden auch das äußere Bild von Gröpelingen beeinflussen, berichtet Guido Hanslik, stellvertretender Leiter des Nachbarschaftshauses Bremen e. V. Für ihn ist Gröpelingen jedoch vor allem durch die Offenheit, Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft der Menschen geprägt, die zum Teil gleichzeitig „in ganz vielen Bereichen“ selbst Unterstützung bräuchten.
Das, nach der ersten Vorstandsvorsitzenden benannte, Nachbarschaftshaus Helene Kaisen ist eines der insgesamt neun Bremer Bürgerhäuser, die einen offenen Ort für kulturelle Veranstaltungen, aber auch soziale und Bildungsangebote bieten. Gemeinsam mit der Regionalstelle West der vhs hat das Nachbarschaftshaus in Gröpelingen das offene Lernangebot „ABCTreff“ ins Leben gerufen. Zum 1952 gegründeten und damit ältesten Nachbarschaftshaus in Bremen gehören ein Seniorenbegegnungszentrum sowie eine Kindertageseinrichtung. Hierher kommen viele Menschen, die ihre Freund*innen und Ideen mitbringen (Nachbarschaftshaus Bremen e. V. 2023).
Haleh Soleymani sieht in Gröpelingen viele Menschen, die in Deutschland aufgewachsen und hier in die Schule gegangen sind, aber nicht ausreichend lesen und schreiben können. Der Bedarf an niedrigschwelligen, offenen Angeboten im Stadtteil ist groß. Die Bremer vhs verfolgt schon lange das Ziel, Bildung für alle vor Ort anzubieten. Das spiegelt sich auch in ihrem Aufbau wider. Sie ist in der weitläufigen Hansestadt unter anderem mit vier Regionalstellen – Nord, Ost, Süd und West – in den Stadtteilen vertreten. Die Räume der Regionalstelle West befinden sich im Stiftungsdorf Gröpelingen, auf dem Gelände der ehemaligen Gröpelinger Feuerwache (Bremer Volkshochschule 2023) – nur wenige Minuten zu Fuß vom Nachbarschaftshaus entfernt. Gröpelingen beherbergt viele weitere Einrichtungen, wie etwa die Stadtbibliothek West, in der sich auch der Gesundheitstreffpunkt West befindet, Kunstateliers, das Gemeinschaftshaus Stuhmer Straße, das Jugendfreizeitheim Gröpelingen und die Erlebnisfarm Ohlenhof (Freie Hansestadt Bremen, Soziale Stadt Bremen o. J.). Die Vertreter*innen von Nachbarschaftshaus und vhs sind sich einig, dass Gröpelingen über ein großes, gut funktionierendes Netzwerk an Einrichtungen verfügt, das verschiedene Formen von Unterstützung für die Einwohner*innen anbietet. Dieses Netz bildete auch die fruchtbare Grundlage für die Kooperation der beiden Einrichtungen im Rahmen des Projekts. Die Partner*innen haben sich intensiv ausgetauscht und neue Ideen entwickelt, um Teilnehmer*innen zu erreichen.
Teilnehmer*innengewinnung durch Zusammenarbeit
„Wir haben uns die Bälle zugespielt“ – Kooperation zwischen der vhs-Regionalstelle West und dem Nachbarschaftshaus in Gröpelingen
Die Regionalstelle West der Bremer vhs und das Nachbarschaftshaus Bremen e. V. liegen nur wenige hundert Meter voneinander entfernt. Das Nachbarschaftshaus als vertrauter Ort für die Menschen und die vhs mit ihren Kompetenzen in Bildung und Verwaltung hätten sich „hervorragend ergänzt“, findet Guido Hanslik, stellvertretender Leiter des Nachbarschaftshauses. Beide, Nachbarschaftshaus und vhs, hätten bereits vor der gemeinsamen Durchführung des „ABC-Treffs“ in verschiedenen Stadtteilforen in Gröpelingen zusammengearbeitet oder beim Neujahrsempfang im Nachbarschaftshaus miteinander gefeiert, ergänzt vhs-Regionalstellenleiterin Haleh Soleymani. Die gemeinsame Umsetzung des Lernangebots sei dennoch eine Premiere gewesen.
Das Nachbarschaftshaus stellte die Infrastruktur und begleitete die Lehrkraft, die von der vhs vermittelt wurde. Darüber hinaus konnten vor Ort viele potenzielle Teilnehmer*innen angesprochen werden, zum Beispiel Eltern, die ihre Kinder in die zugehörige Kita bringen, oder Menschen, die andere Angebote im Haus wahrnehmen. Sowohl das Nachbarschaftshaus als auch die Regionalstelle West nutzten außerdem ihre Netzwerke, um das Lernangebot bekannt zu machen, sei es beim „Bürgerservice- Point“ oder in verschiedenen lokalen Arbeitskreisen. „Die Einrichtungen haben alle eine Lotsenfunktion füreinander“, berichtet Haleh Soleymani. „Natürlich gibt es immer Flyer, aber es ist wichtig, mit den Menschen zu sprechen und dabei aufeinander zu verweisen.“ Wenn man Vertrauen in eine Einrichtung und deren Mitarbeiter*innen habe, sei es leichter, „von einer Tür zur nächsten“ zu gehen, bestätigt Guido Hanslik.
Trotz der guten Voraussetzungen war es jedoch schwierig, Menschen für das offene Lernangebot in Gröpelingen zu gewinnen. Auf der Suche nach möglichen Ursachen überlegten Nachbarschaftshaus, Lehrkraft und vhs gemeinsam, wie sie das Angebot attraktiver gestalten könnten. Die Menschen hätten „ganz häufig andere Baustellen zu bearbeiten“, die sie erst einmal nicht mit dem Lesen und Schreiben in Verbindung brächten, etwa finanzielle oder aufenthaltsrechtliche Probleme, erklärt Guido Hanslik. Hier sei gute Kommunikation gefragt, um den Treff als „eine Basis-Unterstützung“ darzustellen, die mittelfristig helfen könne, Schreiben von Behörden besser zu verstehen und Briefe oder E-Mails selbst zu verfassen. Alltagsnähe, auch in der Bewerbung des Angebots, sei dabei zentral. Die Kooperation und die stetige Weiterentwicklung des Formats waren für die Kooperationspartner*innen durchaus zeitintensiv. Haleh Soleymani bemerkt, dass sie sich „bisher selten für ein Lernangebot so viel mit anderen Menschen ausgetauscht“ habe. Gerade dies habe es jedoch ermöglicht, Arbeitsbeziehungen zu vertiefen und Impulse für die Zukunft gegeben.
Hinweis Begriff „Migrationshintergrund“
Literaturangaben
Projekt InSole - In Sozialräumen lernen (Transfer)
Autorinnen
Projektteam „InSole - In Sozialräumen lernen (Transfer)“ des Deutschen Volkshochschul-Verbands.