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Grundbildung

Starkes Miteinander in Vielfalt

„In Sozialräumen lernen“: Unter diesem Motto richteten ab 2020 Volkshochschulen und Träger der Quartiersarbeit in Stadt oder Ortsteilen mit besonderem Bedarf leicht zugängliche Lernangebote ein. In diesem Praxisbericht geht um die offenen Lernangebote in Hanau-Kesselstadt.

Veröffentlicht am 02.09.2024

Lebendiges Treiben herrscht in Kesselstadt: Das Weststadtbüro, eine seit 2001 bestehende Stadtteileinrichtung in Trägerschaft der Stadt Hanau und der Evangelischen Kirchengemeinde Kesselstadt, organisiert ein Stadtteilfest. Von der Bühne klingt Livemusik, die Besucher*innen können über Boxen, Capoeira und Zumba staunen – und mitmachen. Wohlgerüche von verschiedenen Köstlichkeiten liegen in der Luft. Viele Vereine und Einrichtungen haben ihre Stände aufgebaut. So auch die Leitung des Grundbildungszentrums (GBZ) der vhs Hanau, Dr. Judith Lechner. Im westlichsten Stadtteil von Hanau hat das Grundbildungszentrum erfolgreich mit dem Weststadtbüro zusammengearbeitet, um ein offenes Lernangebot einzurichten.

Als Anlaufstelle für alle Bewohner*innen des Stadtteils hat das Weststadtbüro ein breites, bedarfsorientiertes Angebot – Krabbelgruppe, Leseclub, Unterstützung bei den Hausaufgaben, einen Walkingtreff und vieles mehr. Dafür sind hauptamtliche Mitarbeiter*innen um die Leiterin Undine Möbus sowie viele ehrenamtlich Engagierte im Einsatz. Ideen der Anwohner*innen sind immer willkommen (Stadt Hanau 2023). „Was mir in Kesselstadt besonders gefällt, ist die Freundlichkeit der Menschen. Hier ist sehr viel Freundlichkeit, Höflichkeit, Abwarten“, sagt Undine Möbus.

Die vhs Hanau liegt im Nordosten der Brüder-Grimm-Stadt, verfügt aber über verschiedene Lern- und Beratungsorte stadtweit (Volkshochschule der Stadt Hanau o. J. a). So hat das Grundbildungszentrum ein Büro im belebten Kulturforum in der Innenstadt sowie einen Lernort im Kulturzentrum in der Alten Johanneskirche (Volkshochschule der Stadt Hanau o. J. b). Um viele Hanauer*innen zu erreichen, wird großer Wert auf dezentrale Angebote gelegt. Das wöchentliche Kesselstädter „Lerncafé“ findet im evangelischen Gemeindezentrum statt, in direkter Nachbarschaft zum Weststadtbüro. „Die Kirchengemeinde setzt sich für ein gutes Zusammenleben im Stadtteil ein“, betont Dr. Merten Rabenau, Pfarrer der Kirchengemeinde Kesselstadt. Neben der zweitältesten Kindertageseinrichtung in Hanau und einem großen Jugendzentrum in Trägerschaft der Gemeinde sei das Weststadtbüro „die logische Ergänzung, um auch Erwachsene mit ihren Fragen und Problemen zu erreichen“.

Im Stadtteil leben knapp 11.600 Einwohner*innen von Hanau, das eine Gesamtbevölkerung von etwa 100.700 Menschen umfasst (Stand 12 / 2021; Magistrat der Stadt Hanau, Fachbereich 7 – Planen, Bauen und Umwelt, Stabsstelle 5.02 – Integrierte Sozialplanung und Statistik 2022, S. 44). Das Schloss Philippsruhe und das malerische Mainufer gehören zu Kesselstadt genauso wie Gebiete mit unterschiedlicher Alters- und Sozialstruktur, die mit verschiedenen Herausforderungen zu kämpfen haben. „Kesselstadt ist für mich als Stadtteil eine spannungsvolle Einheit“, sagt Pfarrer Rabenau. „Hier trifft der älteste Teil des heutigen Hanaus auf ein ganz neu entstandenes Quartier.“ Insbesondere um den Kurt-Schumacher-Platz, an dem auch das Weststadtbüro liegt, gibt es eine hohe Einwohner*innendichte und einen großen Anteil an Menschen, denen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts Leistungen nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch zustehen (ebd., S. 54, S. 50–51).

In Kesselstadt wohnen Menschen unterschiedlicher Herkunft – aus anderen Bundesländern und vielen Orten europa- und weltweit (ebd., S. 53–54). Gut ein Viertel der Menschen hat eine andere Staatsbürgerschaft als die deutsche (Magistrat der Stadt Hanau 2021). Zahlreiche Kesselstädter*innen schätzen ihre „Zuzugsgeschichte“ als verbindende Erfahrung und fühlen sich dem Stadtteil zugehörig (Magistrat der Stadt Hanau, Fachbereich 7 – Planen, Bauen und Umwelt, Stabsstelle 5.02 – Integrierte Sozialplanung und Statistik 2022, S. 54). Diese Zugehörigkeit wurde für viele jedoch durch den rassistischen Anschlag vom 19. Februar 2020, bei dem neun junge Hanauer*innen ermordet wurden, erschüttert. Der Kurt-Schumacher-Platz war einer der Tatorte. Bis heute sind viele Bewohner*innen durch diesen traumatischen Einschnitt verletzt und voller Trauer (ebd., S. 44). Der im Anschluss eingesetzte Untersuchungsausschuss hat unter anderem gravierende Fehler seitens der Behörden bestätigt, sowohl während des Einsatzes, etwa die Nichterreichbarkeit des Notrufes, als auch im Anschluss in der Kommunikation mit den Angehörigen. Vertrauen in das gesellschaftliche Miteinander und die Institutionen muss erst wiederaufgebaut werden (ebd., S. 44). Einen Raum hierfür können auch offene Angebote bieten.

Im Schnitt treffen sich im „Lerncafé“ ein Dutzend Frauen, um gemeinsam ihr Lesen und Schreiben zu verbessern, aber auch, um sich zu gesellschaftlichen Fragen oder Themen wie Familie und Gesundheit auszutauschen. In Kesselstadt gibt es sowohl viele Alleinerziehende als auch überdurchschnittlich viele kinderreiche Familien, die Betreuungsrate bei Kindern im Alter von null bis drei ist dabei eher niedrig (ebd., S. 49, 56). Eine begleitende Kinderbetreuung war daher die zentrale Voraussetzung, um den Frauen die Teilnahme zu ermöglichen.

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  • DVV/Jan Bosch
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